Der Weg geht weiter ...
Das Philadelphia-Werk mit seiner wachsenden Lebensgemeinschaft entstand während des Zweiten Weltkriegs. Die Vereinsgründung erfolgte 1945. Die Versorgung mit Lebensmitteln gehörte zum Wichtigsten, um zu überleben. Das war in diesen Hungerszeiten besonders klar. Auch gab es die Frage, ob es noch eine Verfolgungszeit geben würde, in der es wichtig wäre, möglichst unabhängig zu sein.
So übernahm der Verein schon 1954 die Landwirtschaft von zwei verschiedenen Bauernfamilien, eine davon in unmittelbarer Nähe. „Ich habe die Landwirtschaft, aber keine Arbeitskräfte. Ihr habt viele Mitarbeiter, aber keine Landwirtschaft“, war damals das schlagende Argument von Bauer Ege. Die erzeugten Lebensmittel wurden zunächst gebraucht, um die Versorgung der großen Mitarbeiterschaft sicherzustellen. Später bekamen auch das Altersheim in Leonberg und Ditzingen und die Kinderheimat Gemüse, Milch, Fleisch und Wurst vom eigenen Hof.
Steffen Bartels kam damals gerade in die Gemeinschaft und erinnert sich noch gut an das Gespräch mit Vater und Mutter Röckle. Auf die Frage, was er denn arbeiten möchte, hörte er sich selber sagen: „In der Landwirtschaft mithelfen.“ So geschah es, und Steffen hat sich intensiv in die Materie eingearbeitet und den Bereich Landwirtschaft über viele Jahre geprägt.
Von 1961 bis 1963 baute der Verein den heutigen Biolandhof an der Strohgäustraße. Noch während der Bauphase konnte das Vieh 1962 in den neuen Stall einziehen. 1963 dann Josef Greif mit seiner Frau. Über viele Jahrzehnte lebte er mit seiner wachsenden Familie auf dem Philadelphia-Hof. Er leitete und verantwortete die Arbeit in der Gärtnerei. Neben der Produktion guter Lebensmittel war ihm der rechte Umgang mit Gottes Schöpfung wichtig. 1975 stellte er den Hof um auf organisch-biologischen Landbau. Das war damals etwas Neues. Erst 1971 hatte sich in Südwestdeutschland der Verband für organisch-biologischen Landbau gegründet, seit 1979 bekannt als Bioland. Immer wieder kamen Interessierte, um sich anzuschauen, ob und wie diese andere Art von Gartenbau und Landwirtschaft funktioniert. Der Philadelphia-Hof hatte ein Stück weit Modellcharakter.
Im Laufe der Zeit haben viele Mitarbeiter den Hof geprägt. So waren in der Landwirtschaft Rudolf Eberle, Emil Ziermann und später mehrere Brüder aus dem Verein tätig. 1984 kam Sebastian Soiné als Zivi auf den Hof. Er lernte dort nicht nur den Arbeitsbereich Gartenbau kennen, sondern auch den lebendigen Gott. Er blieb auf dem Hof und absolvierte die Ausbildung zum Gärtnermeister. Er trat mit seiner Frau in die Lebensgemeinschaft ein. Bis heute lebt und arbeitet er auf dem Hof und verantwortet dort die Gärtnerei. 1995 kam Andreas Müller als neuer Landwirt und „Kuhspezialist“. Er zog mit seiner Frau Elvira ins Bauernhaus ein.
Über Jahrzehnte lag der Schwerpunkt der Arbeit auf dem Hof auf der Versorgung der Philadelphia-Gemeinschaft. Die geernteten Lebensmittel wurden ins nahegelegene Bibel- und Erholungsheim und Altenheim gebracht und dort in guter Weise verwendet. Bei den recht häufigen Fahrten nach Murrhardt wurden regelmäßig auch Lebensmittel für die Kinderheimat mitgeschickt. Auch das Philadelphia-Altenheim in Ditzingen, das spätere Haus Friederike, wurde teilweise mitversorgt.
In den letzten Jahren hat sich der Schwerpunkt dann verschoben. Das Gemeinschaftshaus ist inzwischen in Ditzingen und wird über das Haus Friederike mitversorgt. Die Fahrten nach Murrhardt sind seltener geworden. So wurden der Verkauf im Hofladen und über die Bio-Kiste als neue Standbeine aufgebaut.
In all den Jahren gab es eine Vielzahl von Mitlebenden und Mithelfenden, die sich in unterschiedlicher Weise und Zeit eingebracht haben. So war der Hof auch immer ein kommunikativer Ort.
Eine besondere Gruppe dabei waren Menschen, die mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind. Sie konnten unter der Leitung vom Seehaus Leonberg auf dem Hof Sozialstunden abbauen.
Auch für Schulklassen war der Hof ein beliebter Anlaufpunkt. Die Schülerinnen und Schüler konnten im Rahmen vom „Lernort Bauernhof“ den Tieren und der Arbeit auf einem Hof begegnen. Ein Höhepunkt für viele war das Melken der Kühe – und natürlich das Streicheln der Kälber.
Jeden Freitagabend steht der Hof ganz im Zeichen der Royal-Ranger, die gerne die Out- und Indoor-Möglichkeiten nutzen.
In guter Zusammenarbeit mit der Kirchengemeinde werden immer wieder Erntebitt- und Erntedankgottesdienste auf dem Hof gefeiert.
In den letzten 10 Jahren gab und gibt es viele Überlegungen, wie es mit dem Philadelphia-Werk und den verschiedenen Arbeitsbereichen weitergehen soll. Dabei war auch die Frage, wie es mit dem Biolandhof weitergeht. Auf der einen Seite wurde der Hof weniger für die eigene Versorgung gebraucht, aber auf der anderen Seite sollte der Hof auch nicht einfach verkauft werden. Es sollte ein Segensort bleiben für viele Menschen.
Seit 2020 gab es dann Überlegungen mit der Lichtblick gGmbH, einem Träger der Kinder- und Jugendhilfe, eine Arbeit für sogenannte Systemsprenger auf dem Hof aufzubauen. Kinder und Jugendliche, die noch schulpflichtig sind, aber in der Schule nicht zurechtkommen, werden tagsüber auf dem Hof betreut. Sie bringen sich bei verschiedenen Arbeiten ein. Ihr Tag bekommt (wieder) eine Struktur. Sie lernen verschiedene Arbeiten kennen, übernehmen Verantwortung und erfahren Wertschätzung. So gab es einen Jungen, der den Gülleschieber für sich entdeckte. Von der Größe her wie ein kleiner Aufsitzmäher, um die Gülle im Kuhstall zusammenzuschieben. Voller Freude hat er diese Arbeit übernommen und gestrahlt, weil er ja eine „richtige“ Arbeit machen konnte.
Zum 01.01.2025 hat Lichtblick den Hof in Erbpacht übernommen. Die Grundstücke bleiben Eigentum des Philadelphia-Vereins, aber die Arbeit auf dem Hof steht jetzt ganz im Zeichen der Kinder- und Jugendhilfe. Dabei werden die Gärtnerei und die Hühner auf jeden Fall weitergehen und wir sind gespannt, was Lichtblick da noch alles entwickeln wird.
Wir wünschen allen Lichtblick-Mitarbeitenden jedenfalls ein gutes Gelingen und viel Freude!
Ute Haußmann



In ihrem ersten Rundbrief vom Hof schreibt Lichtblick u. a.:
Seit 2020 bietet Lichtblick gGmbH auf dem Bauernhof in Leonberg für Kinder und Jugendliche mit erhöhtem Förder- und Betreuungsbedarf besondere und individuell ausgerichtete Betreuungsformen an. Lichtblick gGmbH möchte mit dem Konzept Kindern und Jugendlichen, die auch im bisherigen Jugendhilfe-System nicht aufgefangen werden konnten, ein tragfähiges Beziehungsangebot machen.
Wir sind überzeugt davon, dass es für Kinder und auch Jugendliche für eine gesunde Entwicklung wichtig ist, viel an der frischen Luft zu sein, Kontakt mit Tieren zu haben, mit den Händen in der Erde zu „arbeiten“ und mit allen Sinnen ihre Umwelt wahrzunehmen. Deshalb sehen wir den Bauernhof auch als ein therapeutisches Setting an.
Kinder und Jugendliche können sich in den Bereichen Landwirtschaft und Gärtnerei einbringen und werden von pädagogischen Fachkräften begleitet und durch Fachkräfte der Landwirtschaft und Gärtnerei angeleitet. Mit dem Mistschieber werden Kuhstall und Laufhof gesäubert, Kühe, Schafe, Ziegen und Laufenten getränkt und gefüttert sowie mit Streu versorgt. Aus dem Hühnermobil werden Eier herausgelesen und für den Hofladen und den Bio-Kistenvertrieb gesäubert und verpackt. Auf den Feldern und in Gewächshäusern wird je nach Saison gesät, gepflanzt und geerntet, Gemüse angebaut oder Früchte und Äpfel gepflückt. Kinder und Jugendliche übernehmen Verantwortung für Tiere und lernen Sozialverhalten gegenüber Kunden im Hofladen und beim Kistenausfahren, Rechnen beim Verkauf und erfahren Selbstwertgefühl und Erfolg, wenn selbsterzeugte Produkte verkauft werden können und die Kunden zufrieden sind.
Das ist unser Ziel: Wir wollen Kinder und Jugendliche ihrem individuellen Entwicklungsstand entsprechend optimal fördern und zufriedene Kunden haben, die unsere Produkte gerne kaufen und damit unsere Arbeit unterstützen.